Wiener Spaziergänge Nr. 8
Wir gehen wieder. Den Sommer haben wir mit Corona gut überstanden. Jetzt im Herbst hat uns das Virus wieder fester im Griff. Also starte ich wieder mit den Wiener Spaziergängen, heute schon der 8. Raus an die Luft, durchatmen, den „Kopf freibekommen“, das geht gut bei einer kleinen Wanderung durch Wien. Und in Wien gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Diesen Rundgang habe ich eine Woche vor dem 2. Lockdown gemacht. Also ein Spaziergang ohne Raunzen, Lokale haben noch geöffnet. Und ich als „Kaffee-Tante“ habe das natürlich sehr genossen.
Leopoldstadt
Wir schauen uns heute im 2. Bezirk, der Leopoldstadt um. 1850 wurden diverse Vorstädte zu einem Teil des neuen Stadtgebietes von Wien eingemeindet. Dieses Gebiet hieß ursprünglich „Werd“ = Insel. Im 19. Jahrhundert kehrten Juden, nach mehrmaligen Vertreibungen, hierher zurück und es entstand der Spitzname „Mazzesinsel“ für dieses Gebiet. Bis zum Zweiten Weltkrieg blieb die Leopoldstadt das größte Judenviertel Wiens. Übrigens, die Leopoldstadt wurde nach Kaiser Leopold I. benannt.
Mediatower
Wir starten beim Donaukanal, Taborstraße. Der ursprüngliche Name war Kremser Straße. Ab dem 16. Jahrhundert wurde sie dann nach dem Tabor – Befestigungsanlagen – benannt. Die Taborstraße ist bis heute, neben der Praterstraße, eine der wichtigsten Geschäftsstraßen des 2. Bezirks. Taborstraße 1 steht heute der Mediatower der Verlagsgruppe News, von Architekt Hans Hollein, der Tower wurde 2001 fertiggestellt. Bis 1912 stand hier das „Kroatenhaus“.
Auf Taborstraße Nr. 10 ist die ehemalige Börse für landwirtschaftliche Produkte, heute ist es die Odeon Bühne des Serapionstheater. Daneben Nr. 12 das Hotel Stefanie, benannt nach Kronprinzessin Stephanie.
Diese Häuser, am Beginn der Taborstraße, waren Einkehrgasthöfe. Im 15. Jahrhundert ordnete Herzog Albrecht V. (dann König Albrecht II.) an, dass Durchreisende in Herbergen übernachten müssen.
Taborstraße Nr. 16 ist die Klosterkirche der Barmherzigen Brüder mit Kloster und Klosterapotheke. Die „Barmherzigenkirche“ ist dem Heiligen Johannes dem Täufer gewidmet. Das Altarbild „Taufe Christi“ stammt von Daniel Gran, 1736. Der Eingang in das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder ist in der Großen Mohrengasse 9.
Karmeliterkirche
Taborstraße Nr. 17 ist die Pfarrkirche St. Josef, ich glaube, jeder Wiener kennt sie als Karmeliterkirche. Das Klostergebäude und die Pfarre wurden von den Karmelitern betreut, bis sie 1838 nach Linz übersiedelten. Das Viertel um die Kirche wird heute noch Karmeliterviertel genannt. Schon interessant, wie lange sich Namen oder Begriffe in unserer Sprache halten.
Wir gehen weiter durch die Karmelitergasse zum Karmelitermarkt. Der erste Markt wurde 1671 abgehalten. Seit 1910 befindet sich der Markt auf dem jetzigen Platz. Heute befinden, wie auf vielen Märkten von Wien, überwiegend kleine Restaurants, Weinstuben, „Coffee to go“ und einige wenige Obst- und Gemüsestände, sehr wenige Verkaufsstände, welche Fleisch anbieten. Die Märkte sind in unserer Stadt ein Kommunikationstreff. Man erfährt, was es Neues im Grätzel gibt, die Bezirkspolitiker lassen sich auch gerne auf den Märkten sehen und zu einem Tratscherl überreden. Es ist Sonntag, der Markt hat geschlossen. Aber ich komme noch zu meinem Kaffee.
Im Werd
Im Werd war die Bezeichnung für die Leopoldstadt und Brigittenau bis ins 17. Jahrhundert. Heute erinnert daran noch eine Gasse „Im Werd“.
Ihana
Jetzt gibt es einen Kaffee. In der Kleinen Pfarrgasse gibt es ein neues Lokal: Ihana, ein finnisches Kaffeehaus. Der Kaffee kommt aus Italien, war einwandfrei, dazu gab es einen Apfelkuchen. Meine Freundin Irma, sie kommt aus Finnland, hat Ihana schon besucht, hat „Korvapuusti“ gegessen (was immer das ist) und war begeistert. Der Besuch hat sich gelohnt.
Nach der Stärkung gehen wir durch die Malzgasse Richtung Augarten. Vorbei am Mignon-Langnas-Park. Mignon Langnas wurde in Galizien geborgen. Ihren Mann und ihre Kinder gelang aus dem Dritten Reich die Flucht in die USA. Sie blieb zurück, um ihre alten und gebrechlichen Eltern nicht im Stich zu lassen. 1941 begann sie für die israelitische Kultusgemeinde zu arbeiten. 1942 bis Kriegsende arbeitete sie im jüdischen Kinderspital in der Tempelgasse 3. Der Schriftsteller Robert Schindel war einer ihrer Patienten. Bewundernswert sind solche Frauen und Männer, die einfach helfen, sich selbst in Gefahr begeben, und das alles als selbstverständlich betrachten.
Augarten
Hier sind die Wiener Sängerknaben zu Hause, im Augartenpalais. Hier ist auch die Porzellanmanufaktur Augarten, ein Altersheim, Lauder Chabad Campus, Sportplätze. Der Augarten ist 52,2 Hektar groß! Eine wunderschöne Parkanlage mitten in der Stadt, mit der ältesten barocken Gartenanlage Wiens. Historische Relikte sind die beiden Flaktürme aus dem Zweiten Weltkrieg.
Erwähnt seien noch die Lokale im Augarten. Hier kann man wirklich ausgezeichnet essen und es gibt auch Konzerte. Im heurigen „Corona-Jahr“ ist das Angebot natürlich gering. Wenn wir diese Pandemie überstanden haben, werden wir Konzerte, gutes Essen in Restaurants, Freunde treffen bewusster genießen.
Das macht Wien auch so lebenswert, die vielen Grünflächen und Parks, auch in der Innenstadt. Unsere Stadt ist nicht umsonst zu lebenswertesten Stadt gewählt worden.
Über die Nordpolstraße gelangen wir zur Nordwestbahnstraße. Dieses Grätzl, Nordbahnstraße bis Am Tabor, wird die „Rote Meile“ von Wien genannt. Hier gibt es einige Bordelle. In der Nacht sind diese Lokale rot beleuchtet und daher stammt dieser Name.
Mauthaus
Am Tabor 2 Ecke Taborstraße 80 steht das Mauthaus. Es war ein Amtsgebäude für die Einhebung der Weg- und Brückenmaut. Fast jeder kennt dieses Gebäude, wenn man über den Tabor fährt, egal ob mit dem Auto oder Straßenbahn, fällt es sofort ins Auge. Die wenigsten wissen aber, dass es ein Mauthaus war.
Wir sind wieder auf der Taborstraße, fast am Ende. Auf Taborstraße 70 gibt es noch DAS Schallplattengeschäft für „Rock ’n‘ Roll“. R’n’R-Fans kennen dieses Geschäft schon mehrere Jahrzehnte, hier findet man wirkliche Raritäten.
Das Schulzentrum Lessinggasse – Vereinsgasse wird gerade renoviert. Der Volkertmarkt ist für Autofahrer daher über die Taborstraße nur schwer erreichbar. Für Fußgänger etwas leichter. Auf dem Volkertmarkt ist die Fischinsel, bekannt für guten frischen Fisch. Auch dieser Markt ist ein Treffpunkt für verschiedenen Kulturen. Wiener, Migranten, Touristen treffen sich hier regelmäßig zum Einkaufen, zum Schmäh führen, zum Austauschen von Neuigkeiten.
Springergasse
Auf einem der Häuser in der Springergasse wurden nachträglich Balkone angebracht. Ich habe im Sommer darüber gelesen. Es ist sicher eine gute Idee für Menschen, welche in der Stadt, hauptsächlich innerhalb vom Gürtel wohnen. Die Balkone kann man begrünen und hat ein wenig Natur vor dem Fenster. Am Abend mit einem Glas Wein am Balkon sitzen und sich entspannen. Bin gespannt, ob sich dieser Idee mehrere anschließen.
Über die Heinestraße, Große Stadtgutgasse, Nowaragasse kommen wir in die Glockengasse. Hier auf Nr. 11 steht dieses wunderschöne Haus.
Wir machen noch einen Halt am Lancplatz. Das ist die Fläche zwischen Glockengasse und Taborstraße. Maria und Dr. Artur Lanc retteten drei ungarische Juden vor dem KZ. Dr. Artur Lanc ist im 2. Bezirk aufgewachsen.
Wir beenden unseren Spaziergang in der Taborstraße, beim Haus mit den Hirschen. Das „Haus zum Goldenen Hirschen“ wurde 1650 schon erwähnt. In diesem Haus wohnten verschiedene Mitglieder der Familie Johann Strauß (Vater, Sohn und sein Bruder Josef). Am Dach des Eckhauses ist jetzt eine Kopie des Hirsches zu sehen. Geschaffen hat die Figur der Kunstschmied Emanuel Lagotsky. Der Originalhirsch soll aber noch vorhanden sein.
In diesem Bezirk gibt es wunderschöne alte Häuser. Man spürt noch den Flair der vergangenen Zeit, wenn man durch die Gassen spaziert. Gerade in der Leopoldstadt finden sich sehr viele „Stolpersteine“. Im Boden verlegte kleine Gedenktafeln, welche an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der NS-Zeit verfolgt wurden.
Der Spaziergang ist zu Ende. Ich hatte guten Kaffee und Kuchen, beim nächsten Spaziergang sind wieder alle Restaurants, Bars, Kaffeehäuser geschlossen. Corona ich mag dich nicht.
Text: Gabriele Czeiner