Sterbehilfe
Wer hat nicht schon darüber nachgedacht, wenn ein naher Angehöriger nach einer schweren Krankheit gestorben ist. In einer stillen Minute überlegt man, dass man so nicht enden möchte. Dass es doch gut wäre, wenn man Sterbehilfe in Anspruch nehmen kann.
Im Dezember 2020 hat der Verfassungsgerichtshof die bisherige Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid für verfassungswidrig erklärt. Seit 1. Jänner 2022 gilt das Sterbeverfügungsgesetz, welches die rechtlichen Voraussetzungen für den assistierenden Suizid regelt (Bundesministerium für Justiz). Jetzt haben wir Anfang 2023 und schauen uns an, was sich im letzten Jahr alles getan hat.
Voraussetzung
Die Sterbeverfügung gilt als Nachweis darüber, dass sich jemand aus eigenem, dauerhaftem Entschluss für die Möglichkeit des assistierten Suizids entschieden hat. Das heißt, diese Verfügung kann nur persönlich errichtet werden – keine Vertretung durch eine andere Person ist möglich.
Eine Sterbeverfügung kann jede dauerhaft schwer kranke oder unheilbar kranke Person errichten, die volljährig und entscheidungsfähig ist. Und wenn der Zustand dieser Person als nicht abwendbares Leiden empfunden wird. Das heißt, dass diese Person die Bedeutung und die Folgen ihrer Entscheidung versteht und dementsprechend handeln kann. Minderjährige können keine Sterbeverfügung errichten.
Ablauf
- Aufklärung durch zwei Ärztinnen/Ärzte. Ein/e Ärztin/Arzt muss eine palliative Qualifikation haben, die/der zweite Ärzt:in kann auch der/die Hausärzt:in sein.
- Bestätigung der Krankheit und Entscheidungsfähigkeit: Ein:e Ärzt:in bestätigt das Vorliegen der Krankheit, beide bestätigen unabhängig voneinander die Entscheidungsfähigkeit der sterbewilligen Person.
- Sicherheitsnetz: Wenn ein:e Ärzt:in an der Entscheidungsfähigkeit zweifelt, wird sie durch eine:n Psychiater:in oder Psycholog:in nochmals beurteilt.
- Um die Dauerhaftigkeit des Entschlusses sicherzustellen, muss eine Frist von 12 Wochen eingehalten werden, bevor eine Sterbeverfügung errichtet werden kann. Dieser Zeitraum wird in der Suizidforschung als notwendig zur Überwindung von Krisenphasen gesehen.
- Bei Personen, welche nur mehr eine geringe Zeit zu leben haben, gilt eine stark verkürzte Frist von zwei Wochen.
- Nach Ablauf der Frist kann die Sterbeverfügung bei Notar:innen oder Patientenanwält:innen errichtet werden. Die Sterbeverfügung wird in einem dafür geschaffenen Register eingetragen.
Berechtigung
Diese Sterbeverfügung ermöglicht es sterbewilligen Personen, ein letales Präparat aus der Apotheke zu kaufen und dieses dann zu sich zu nehmen. Dieses Präparat kann auch von einer beauftragten Person abgeholt werden, wenn die sterbewillige Person bettlägerig ist. Diese Person muss in der Sterbeverfügung genannt werden. Auch eine Zustellung durch die Apotheke ist möglich.
Die Person muss das tödliche Mittel selbst einnehmen oder das Rad für die Infusion selbst aufdrehen.
2023
Jetzt gibt es seit einem Jahr die Möglichkeit des assistierten Suizids. Was fehlt, ist laut, unter anderem auch Standard, eine wissenschaftliche Begleitung. Das zuständige Gesundheitsministerium weiß nichts über die Motive der Sterbewilligen. Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) betreut Menschen mit schweren, unheilbaren Erkrankungen. Von der OPG wurde die Homepage ascirs.at erschaffen. Hier können Angehörige, Pfleger:innen oder auch Psycholog:innen einen anonymen Bericht hinterlegen, und hier gibt es auch die ersten Infos zur Sterbehilfe.
Laut Standard gab es 21 vollzogene assistierte Suizide, mehr als das offizielle Sterbeverfügungsregister. Das war angeblich „einstellig“. Von seitens des Ministeriums gibt es dazu keine Erklärung.
59 Betroffene haben den Suizidversuch abgebrochen. Die Betroffenen sind zwischen 43 und 97 Jahre alt, leiden größtenteils an Tumoren oder Erkrankungen des Nervensystems. Zwei Drittel davon sind Frauen.
Diskussion
Es gibt sehr viele Palliativ-Mediziner wie z. B. Otto Gehmacher vom Landeskrankenhaus Hohenems, aber auch die OPG, die dem assistierten Suizid kritisch gegenüberstehen. „Ich habe die Sorge, dass durch die Legalisierung des assistierten Suizids, vielleicht auch in weiterer Folge der aktiven Sterbehilfe, diese Sterbehilfe etwas Normales wird, mit dem Menschen aus dem Leben scheiden. Und das hat dann schon Auswirkungen auf eine Gesellschaft. Wie geht man mit dem Sterben um? Der Druck auf alte und kranke Menschen wird größer werden, vielleicht auch, wenn finanziell die Engpässe mehr werden“, meint Otto Gehmacher. Patientenanwalt Wolf teilt in einem ORF-Vorarlberg-Interview diese Meinung nicht. Dies war nie ein Thema in den Beratungsgesprächen. Wolf: „Wenn ein Patient keinen anderen Ausweg mehr sieht, wenn keine Therapie mehr schlagend wird, wenn es ein wohlüberlegter Weg für den Patienten ist und er im Sinne eines Selbstbestimmungsrechts sagt, dass er diesen Weg nimmt, kann ich da mitgehen.“
Wichtig bei den Gesprächen im Vorfeld sei auch immer, eine Alternative aufzuzeigen. Der Patientenanwalt wünscht sich Änderungen im Gesetz. Jeder sterbewillige Patient habe die Möglichkeit, eine hilfestellende Person auszuwählen, die ihn unterstützt, so Wolf: „Diese werden aber komplett im Regen stehen gelassen.“
Hier gibt es sicher noch sehr viel zu tun und zu ändern. 49plus wird weiter darüber berichten, was sich von seitens des Gesetzgebers in den nächsten Monaten, wahrscheinlich eher Jahre, ändern wird.
Hilfe
Berichte über Sterbehilfe können bei Personen, welche sich in einer Krise befinden, die eigene Situation verschlimmern. Hier finden Sie Soforthilfe:
- Psychiatrische Soforthilfe Tel. 01/313-30 – 0 – 24 Uhr
- Telefonseelsorge Tel. 142 – 0 – 24 Uhr
- Kriseninterventionszentrum Tel. 01/406-95-95 – Montag bis Freitag, 10 bis 17 Uhr
Oft lichtet sich der Nebel, der sich über unsere Gedanken gelegt hat, nach einem Gespräch. Nutzen Sie eine dieser Hilfen.
Um rechtliche Fragen abzuklären, wenden Sie sich an:
Rechtsanwältin Fr. Mag. Renate Mrus, 1030 Wien, Geologengasse 3, Tel.: 01/7131483, www.mrus.at
Text: Gabriele Czeiner
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