Wiener Spaziergänge II
Corona hat uns die zweite Woche fest im Griff. Ich werde diese „Entschleunigungs-Zeit“ wieder für einen Wiener Spaziergang nutzen. Es ist schon sehr eigenartig eine Wanderung zu dieser Zeit durch Wien zu machen. Es ist sehr ruhig, wenig Menschen die einem begegnen, sehr wenig Verkehr, Straßenbahn, Autobus oder U-Bahn fahren in größeren Intervallen. Ich nutze diese Zeit um mir die alten Häuser und Gassen anzusehen. Es gibt wirklich viel zu sehen, wunderschöne Häuser mit herrlichem Stuck, Palais, einige Parkanlagen, wenn sie noch geöffnet sind. Überall Geschichte, jetzt in dieser ruhige Zeit, kann man vom alten Wien ein wenig spüren. Ich kann fühlen wie es vor 100, 120 Jahren war.
Der Wermutstropfen ist dass alle Lokale, Geschäft geschlossen haben. Kein Kaffee zwischendurch, kein Glas Wein oder Prosecco am Ende des Spazierganges. Aber das werden wir überleben und wenn es überstanden ist, werden wir Wien kennen wir sonst nur ein Wiener Kutscher oder Fremdenführer.
Los gehts
Wir starten bei der Bellaria: so wird der Bereich um die Kreuzung Bellariastraße/Dr.-Karl-Renner-Ring im Volksmund genannt. Bellaria war ein Vorbau des Leopoldinischen Traktes der Wiener Hofburg, er wurde für Maria Theresia errichtet. Zur Bellaria führte die einzige direkte Zufahrt zur Hofburg über eine langgezogene Rampe vom Heldenplatz aus, und die Kaiserin liebte es vor ihre Privatgemächer gefahren werden zu können, ohne Treppen zu steigen.
Hofburg
Wir überqueren den Ring Richtung Volksgarten und Hofburg. Der Volksgarten ist eine öffentliche Parkanlage, im Normalfall öffentlich, in Corona-Zeit ist die Anlage geschlossen, nur Tauben spazieren gemütlich und freuen sich, dass wir nicht in den Park dürfen. Bis 1823 war der Volksgarten als Privatgarten für die Erzherzöge gedacht, danach wurde die Anlage für die Wienerinnen und Wiener geöffnet, ab dem Zeitpunkt war auch die Bezeichnung „Volksgarten“ gebräuchlich.
Wir gehen durch das Äußere Burgtor oder Heldentor zum Heldenplatz. Der Name „Heldenplatz“ wurde 1878 festgelegt, er kommt von den beiden Reiterdenkmäler: Erzherzog Karl und Prinz Eugen. Seit Ende der Monarchie diente dieser Platz für politische Kundgebungen und auch als Paradeplatz für das österreichische Bundesheer. März 1938: am Heldenplatz versammelten sich Massen als Hitler vom Balkon der Neuen Burg den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich verkündete. Auf diesem Platz wird auch der Tag der Befreiung gefeiert, dem Holocaustgedenktag gedacht, und hier war auch das „Lichtermeer“ gegen Fremdenfeindlichkeit.
Sehenswert ist auch das rot-schwarze Schweizertor von 1552, das ist die Verbindung vom Inneren Burghof zum Schweizerhof. In einer seitlichen Nische des Tores befindet sich der Schweizerhofbrunnen. Der Brunnen ist der Abschluss einer bereits 1534 (!) angelegten Wasserleitung.
Michaelerplatz
Wir gehen durch den Inneren Burghof und haben einen wunderbaren Blick auf den Michaelerplatz und Kohlmarkt.
Hier stand das alte Burgtheater, 1838 wurde auf diesem Platz die erste Gasbeleuchtung Wiens installiert. In der Mitte des Platzes ist eine archäologische Ausgrabungsstätte zu besichtigen. Um den Michaelerplatz sind einige bemerkenswerte Gebäude. Der Michaelertrakt der Hofburg, Haus Nummer 3 ist das Looshaus, in dem heute die Raiffeisen Bank untergebracht ist. Das Haus Nummer 2 gibt es immer noch, aber das Cafe Griensteidl leider nicht mehr. Wobei es jetzt auch geschlossen wäre – CORONA! Auf Nummer 5 ist die Michaelerkirche. Unter der Kirche gibt es einen Friedhof, der seit Ende der 1970er Jahre zugänglich ist.
Wir spazieren über den Kohlmarkt. Das ist ein schwerer Weg. Hier ist DER Demel, normalerweise würde ich jetzt hier einen Kaffee trinken, eine Sachertorte essen, und die ist hier sensationell gut. Ich weiß nicht welche Sachertorte besser ist, die vom Demel oder die vom Sacher. Ich hasse Corona! Wir befinden uns jetzt in jenem Teil von Wien, wo die High Society von Wien shoppen geht: Dior, Gucci, Armani, etc. Unbedingt ansehen sollte man sich auch das Portal der Buchhandlung Manz, das hat Adolf Loos gestaltet, wirklich sehenswert.
Graben
Der Graben geht zurück auf die Römer, Vindobona, entlang des Straßenzuges war eine Mauer und davor befand sich ein Graben. Ende des 12. Jahrhunderts kam es unter den Babenbergern zur Stadterweiterung, die wurde durch das Lösegeld für Richard Löwenherz finanziert. Dabei wurde der Graben mit den Restern der Mauer zugeschüttet und planiert. 1971 wurde der Graben, versuchsweise zur ersten Fußgängerzone Wiens. Der Versuch hat sich bewährt, wer könnte sich heute noch vorstellen, dass hier die Autos fahren? Nicht zu übersehen der Meinl am Graben. Der Meinl ist, ich glaube immer noch, das größte Delikatessengeschäft in Wien. Das Sortiment umfasst über 17.000 Artikeln. Im Haus ist auch ein Restaurant, eine Kaffee-, eine Wein- und Sushibar untergebracht und ein „Meinl to Go“.
Erwähnt sei noch Graben 8 E. Braun & Co. Das Haus hat eine wunderschöne Fassade. Das Geschäft gehörte der Familie Braun, sie hatten noch Filialen in Karlsbad, Prag und Berlin. In der NS-Zeit wurde die Geschäfts arisiert, ein Teil der Familie konnte fliehen. Nach dem Krieg bekam die Familie das Geschäft in Wien zurück, Familienmitglieder gründeten weitere Unternehmen für Kleidung und Textilien an verschiedenen Standorten in den USA. 1986 wurde die Wiener Firma Braun & Co. verkauft, zur Zeit ist H&M in dem Geschäft untergebracht. Die Fassade gibt es noch, und erinnert an eine andere Zeit.
Stephansplatz
Vom Graben sieht man schon den Steffl, das Wahrzeichen der Wiener. 1137 begann der Bau der ersten romanischen Kirche, es wurde ständig dazu gebaut, umgebaut, es gab durch Brände, Kriege Zerstörungen. 2017 wurde die Riesenorgel abgebaut wegen Restaurierungsarbeiten. Ostern 2020 soll die Orgel vom Kardinal geweiht werden. Jetzt in „Corona-Zeit“ gibt es keine Gottesdienst oder Konzerte im Dom, man kann aber den Dom besichtigen, und das ist momentan wirklich sehr eindrucksvoll, da keine Touristen in Wien sind, gehört der Dom wirklich den Wienern.
Der Spaziergang geht über Jasomirgottstraße, Freisinggasse, Petersplatz, Tuchlauben. Es ist schön, durch die kleine, engen Gassen von Wien zu wandern. Ich bin meistens alleine und kann die Atmosphäre, welche von diesen alten Gebäuden und Kirchen ausgeht geniessen.
Tuchlauben
Tuchlauben 8 steht das Schönbrunnerhaus. Vor dem Haus ist ein kleiner, dreieckiger Platz. Wahrscheinlich war es eine Weggabelung, die Anlage des Platzes geht vermutlich vor 1000 zurück uns ist der älteste noch erhaltene Marktplatz Wiens. Der Name Schönbrunnerhaus oder Schönbrunnerhof leitet sich von „Schöner Brunnen“ ab. Übrigens in diesem Haus wurde Alban Berg geboren.
Bognergasse – Am Hof
Jetzt wäre eine Pause angesagt. Im Schwarzen Kameel. Ein Glas Wein oder Prosecco und dazu ein Brötchen. Die wahrscheinlich besten Brötchen von Wien. Kein Wein, kein Brötchen. Das ist wirklich schlimm.
Am Hof befindet sich die Hauptfeuerwache, auf dem riesigen Platz werden jährlich Weihnachtsmärke, Ostermärkte abgehalten, im Herbst gibt es Antiquitätenmärkte, im Sommer wird ein Zelt aufgestellt in dem Theater gespielt wird. Wir spazieren weiter zum Tiefen Graben. Die Straße verläuft entlang eines ehemaligen Bachbettes, wird von der Hohen Brücke überspannt. Erwähnenswert am Tiefen Graben ist das Hotel Orient, ein Stundenhotel, welches schon im 17. Jahrhundert als Schankhaus Orient erwähnt wurde.
Freyung
Auf dem Weg zur Freyung ist das Kunstforum Wien. Hier wäre die Ausstellung „The Cindy Sherman Effect“ – „WÄRE“ – wir haben Corona!
Freyung hieß Ursprünglich „Gegend bei den Schotten“, Das Schottenstift dominiert bis heute den Platz, wenn man auf die Freyung kommt fällt die Schottenkirche und das -stift sofort ins Auge. Auf der Freyung ist der älteste Christkindlmarkt Wiens der „Altwiener Christkindlmarkt“. Jetzt gehen wir in die Ferstel Passage. Ein wunderschönes Palais. In der Passage finden Sie Restaurants, Bars, eine Schokothek, div. Shops und den Donaunixbrunnen in einem Innenhof des Palais. 1855 erwarb die k.k. österr. Nationalbank das Palais. Das Gebäude sollte der Nationalbank, der Börse, einem Kaffeehaus und einem Basar Platz machen. Der Architekt, Heinrich von Ferstel, bewies Weitblick und verband das Praktische mit dem Künstlerischen. Nur kurze Zeit nach Umbau und Bezug war klar, dass das Gebäude zu klein war. Die Börse übersiedelte 1877, die Nationalbank 1925. Soweit ich nachgelesen habe, wurde der Basar nie verwirklicht. 1975-1982 wurde das Gebäude renoviert und das Cafe Central neu eröffnet.
Was würde ich jetzt für einen Mocca geben….
Minoritenkirche
Der Spaziergang geht dem Ende zu, wir überqueren die Herrengasse, gehen durch ein paar kleine Gässchen und stehen vor der Minoritentkirche. In der Kirche ist eine Mosaikkopie von Da Vincis „Letzes Abendmahl“ aus dem 19. Jahrhundert.
Hier in diesem Teil vom ersten Bezirk sind einige Ministerien angesiedelt, rund um die Minoritenkirche sind die Ministerien für Inneres, Bildung und Äußeres. Wir gehen noch durch die Bruno-Kreisky-Gasse zum Ballhausplatz, der Sitz des Bundeskanzlers. Am Beginn der Gasse steht der „Wasserwellen-Lebens-Brunnen“. Er wurde vom Bildhauer Hans Muhr geschaffen. Der Brunnen besteht aus Lapislazuli, der Brunnen wurde bei der Weltausstellung in Lissabon 1998 gezeigt und danach hier auf einem dreistufigen Sockel aufgestellt.
Abschluss
Jetzt Richtung Ring und Bellaria und der Spaziergang ist zu Ende. Es war keine große Runde, aber ich war ca. 2 Stunden unterwegs, es gab so viel zu sehen, zu geniessen. Stehen bleiben, die Ruhe geniessen – und ruhig ist es zur Zeit in Wien.
Jetzt gibt es einen Videochat mit Freunden und ein Glas Wein dazu. Mehr geht momentan nicht, aber das Wenige was möglich ist sollten wir geniessen.
Bis zum nächsten Corona-Spaziergang durch Wien.
Text und Fotos: Gabriele Czeiner